Faratuben
Sira Kura
Zwischen Aarhus und Bamako liegen 6.593 Kilometer – und ein tiefer sozioökonomischer Graben. Aus Afrika zieht es deshalb schon lange Menschen nach Europa – umgekehrt ist das leider nur selten der Fall. „Sira Kura“, das Debütalbum der dänisch-malischen Band Faratuben, zeigt was möglich ist, wenn sich Musiker aus der eigenen Komfortzone herausbewegen, um sich auf Augenhöhe zu begegnen. Die Musik der in Bamako lebenden Band ist keine weitere Variante des Afrobeat, keine retroselige Erinnerung an Fela Kuti, wie so oft. Es ist eine elektrifizierte Version der jahrhundertealten Bwa- und Bobo-Musik, die sich von den traditionellen Kora-Klängen eines Toumani Diabate und Salif Keita durch mehr Druck und Tempo unterscheidet.
Die drei Da?nen Mikas Bøgh Olesen, Jakob de Place und Mads Voxen kamen nach Mali im Rahmen eines Austausch-Programms des Conservatoire de Arts et Metiers Multimedia (CAMM), wo sie zum ersten Mal traditionelle Bobo-Music hörten. Bobo, so nannten die französischen Kolonisatoren das Volk der Bwa, eine unterdrückte Minderheit, die in Burkina Faso und im Norden von Mali lebt. Die perkussive Musik der Bwa wird getrieben von diversen Percussion-Instrumenten und dem Klang des Balofon, eine Art Xylofon mit untergehängten Kalebassen. Die drei dänischen Musikstudenten waren total begeistert von dem
dynamischen Sound, der in Mali religiöse Zeremonien ebenso begleitet, wie Hochzeiten und Partys.
Zusammen mit Gitarrist und Studiobesitzer Dieudonne Koita, Sänger Sory Dao und dem Balofon-Virtuosen Kassim Koita formierte sich eine Band, die ursprünglich nur ein einziges Mal auftreten sollte: beim Bamako Jazz Festival. Auf den Plakaten stand damals noch der Name Bobo Jazz Experience. Doch der Auftritt war zu grandios um nicht weiterzumachen. Im Bogolan Studio in Downtown Bamako spielten die Musiker kurze Zeit später die Songs „Terete“ und „Pari“ ein, die beim TV-Sender ORTM und diversen malischen Radiostationen schnell auf heavy Rotation liefen. Die Band hatte sich inzwischen für den Namen Faratuben entschieden, eine Kombination der Worte „Farafin“ (= Schwarz) und Toubabou (= weiß).
Die Musiker proben und leben oft zusammen in den Bergen außerhalb Bamakos, in einem Dorf namens Kati, wo die Familie Koita zuhause ist. Ein großer Clan, der schon viele bedeutende Musiker hervorgebracht hat. „Die Elektrifizierung ist ziemlich neu in unserer Tradition, und der erste, der Bwa- Music auf einer elektrischen Gitarre gespielt hat, war unser Vater Pakuene Koita“, sagt Dieudonne Koita. Sein Bruder Kassim wurde bereits vier mal zum besten Balofon-Player Malis gewählt. Auch Faratuben werden in Mali immer erfolgreicher, sie spielen auf Hochzeiten, Festen und zunehmend auch auf großen Festivals, wie „Spot on Mali Music“.
Kurz: Es war höchste Zeit für ein Debütalbum! „Sira Kura“ ist eine extrem abwechslungsreiche Fusion, in der sich die pulsierenden Polyrhythmen der Bwa-Music mit Elementen aus Jazz und Art-Pop organisch verbinden – gespielt auf traumhaft hohem Niveau. „Eine moderne Mischung aus 10CC und Osibisa“, nennt es Keyboarder Mikas. Und tatsächlich, eine so überwältigende Melodiösität, ein so komplexes Songwriting findet man im Afrobeat nur selten. Auf Bambara, eine der vielen Sprachen, die in Mali gesprochen werden, bedeutet „Sira Kura“ soviel wie „neue Richtung“.
Doch Faratuben geht es um mehr als um Partys und gute Laune. Das mitreißend kämpferische „Mi Njan Mure Mure“ erzählt von den Tagen, als Mali eine französische Kolonie war: „You took our land, you took our space, you torture us, you treated us with barbarity“. Die Musiker sehen ihre Band als gelebten Anti- Rassismus, oder, wie Diedonne sagt: „Ich hätte vorher niemals gedacht, dass ich Weißen gleichberechtigt und auf einer Ebene begegnen kann. Dass Weiße in meinem Haus wohnen, essen und schlafen, und mit meiner Familie zusammenleben, so wie ich auch. So etwas ist sehr selten in Mali. Wir sind glücklich und stolz, dass wir mit Faratuben zeigen können, dass es möglich ist, eine Gemeinschaft zu erschaffen, jenseits von Rassen und Hautfarben.
Inzwischen hat sich die Band auch in Skandinavien eine treue Fan-Gemeinde erspielt. In Dänemark, wo das Album bereits letztes Jahr erschienen ist, wurde „Sira Kura“ mit dem Danish Music Award für das beste „Globalpop“-Album ausgezeichnet. Und im August erhielten die Musiker dazu noch eine Nominierung für den DMA-Roots-Award.
Es läuft also wieder für Faratuben, die von März bis August wegen Corona in Aarhus festsaßen und erst Ende des Monats nach Mali zuru?ckkehren konnten. Im Gepäck, die während der Quarantäne entstandenen Songs für das zweite Album. Doch bis es soweit ist, wird „Sira Kura“ dafür sorgen, dass der Herbst in Deutschland ziemlich heiß wird. Bwa-Music rules!